Zimmermann in Kluft

1. Juni 2021

Zimmerei 2.0: Zwischen Kluft, Walz und Zukunft

Zimmerer lieben Traditionen, tragen seltsame Klamotten, gehen auf Wanderschaft und bauen Dachstühle – soweit die Klischees. Aber was machen Zimmerer heute wirklich? Als Fachleute für das Bauen mit Holz sind die Kompetenzen der Zimmerer gefragt wie selten zuvor. Zudem führt die gute Auftragslage der Holzbaubetriebe zu einer höheren Nachfrage nach Arbeitskräften. Auch deshalb ist das Zimmererhandwerk ein Beruf mit glänzender Zukunftsperspektive.

Das Wichtigste zuerst: An einem Beruf, den selbst Jesus erlernt haben soll, kann schon mal nicht so viel falsch sein. Das Zimmererhandwerk hat eine uralte Tradition und lebt viele der damit verbundenen Bräuche bis heute. Die wandernden Gesellen auf der Walz sind dabei wohl neben dem Richtfest die sichtbarsten Zeichen einer starken Verbundenheit mit der Vergangenheit. Etwas aus der Zeit gefallen wirkt sicher ebenso die typische Zimmererkluft. Mit Ausnahme eines weißen Oberhemdes ist die Kluft überwiegend in Schwarz gehalten. Der breitkrempige Hut, die Schlaghose, ein Jackett und die Weste mit acht weißen Knöpfen gehören zur traditionellen Garderobe des Zimmerers einfach dazu. Ursprünglich soll dieser „Signature Style“ der Zimmerer von Hamburger Schiffszimmerleuten stammen, die sich den Look wiederum bei den Hamburger Wasserträgern abgeguckt haben. Anyway. Im 19. Jahrhundert wurde diese Kluft zur offiziellen Zunftkleidung der Zimmerer und wird von vielen Zimmerleuten noch heute mit Stolz beim Richtfest getragen.

In die weite Welt hinaus

Der alte Brauch der drei Jahre und einen Tag dauernden Walz hat ebenfalls bis in unsere Tage überlebt. Die Walz ist indessen kein Pflichtprogramm mehr und somit auch kein Bestandteil der offiziellen dreijährigen Ausbildung. Vielmehr ist das „zünftige Reisen“ in der Gegenwart eine beliebte Gelegenheit zur Horizonterweiterung. Es führt die Zimmerer-Gesellen in verschiedene Betriebe und nicht selten sogar in verschiedene Länder. In früheren Zeiten, vom Spätmittelalter an, war diese Wanderschaft Voraussetzung, um eine Meisterprüfung abzulegen. Auf diese Weise konnten die Gesellen neue Arbeitsweisen und Wissen erlangen oder Materialkenntnisse erweitern. Als goldene Regel gilt bis heute, dass man seinem Heimatort im Umkreis von 50 Kilometern umschiffen muss, nur das mitnimmt, was man tragen kann und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzt.


Zimmerer bei der Arbeit

Traditionsberuf im Wandel

Manche Traditionen sind aber inzwischen aufgeweicht. Der Zimmermann ist mittlerweile immer häufiger eine Frau. Im letzten Jahrzehnt ist der Anteil der Zimmerinnen bei den Auszubildenden kontinuierlich gewachsen. Hierzu hat sicher hauptsächlich die Veränderung des gesamten Berufsbildes beigetragen. Neben Axt, Hammer, Klopfholz, Wasserwaage, Winkelmesser und Lot sind viele neue Werkzeuge hinzugekommen und auch das Tätigkeitsfeld reicht weit über den Dachstuhlbau hinaus. Ein breites Spektrum an unterschiedlichen Arbeitsbereichen ist durch den modernen Holzbau entstanden. Der Zimmerer arbeitet heute meist als Allrounder, der Komplettlösungen rund um den Bau anbietet. Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Hochhäuser sowie Gewerbebauten und öffentliche Bauten werden immer häufiger aus Holz gebaut. Bei Anbauten und Aufstockungen oder bei Modernisierungen, Restaurierungen und Sanierungen von Altbauten ist der Zimmerer ebenfalls ein gefragter Fachmann und Ansprechpartner für Bauherren und Architekten. Hinzu kommt der Dachgaubenbau, der Einbau von Dachfenstern oder die Herstellung von Holzkonstruktionen für Carports, Wintergärten, Balkone oder Terrassen und vieles mehr.

Der moderne Holzbau hat sich zu einer der innovativsten Bautechniken gemausert. Neben dem Handwerk mit uralter Tradition verlangt der vielseitige Beruf viel technisches Wissen. Die Digitalisierung hat vor dem Zimmererhandwerk keinen Halt gemacht. Digitale Planungsinstrumente, Computer für die Arbeitsvorbereitung und CNC-gesteuerte Abbundmaschinen für die Fertigung der Bauteile haben ebenso wie computergesteuerte Kreissägen und Hobelmaschinen in modernen Holzbaubetrieben längst Einzug gehalten. Daher sind zur Erstellung technischer Zeichnungen, von 3D-Konstruktionen und komplexer CAD-Konzepte viele, zumeist digitale Technik- und Programmkenntnisse gefragt. Der Umgang und das Bedienen und Warten von Holzbearbeitungsmaschinen und Werkzeugen ist heute für die Abwicklung von Aufträgen im Holzbau und als Teil der Ausbildung obligatorisch.

Die Zimmerei 2.0

Viele ambitionierte Zimmereibetriebe haben sich in der Zwischenzeit zu mittelständischen Holzbauunternehmen entwickelt. Dort wird nicht mehr nur mit Holz, sondern auch mit vielen verschiedenen Plattenwerkstoffen, Leimen und Dämmstoffen, mit Dübeln, Bolzen, Nägeln und Klammern gearbeitet. Detaillierte Produkt- und Materialkenntnisse sind dabei unabdingbar. Zum Arbeitsalltag gehören ebenso Fragen zur Energieeffizienz, zu Schallbrücken oder zur Bauphysik, zum Brandschutz und zur Winddichte von Gebäudekonstruktionen. Größtenteils arbeiten Zimmerer aber mit Maschinen wie elektrischen Kreis- oder Bandsägen, Bohr-, Hobel- und Stemmmaschinen. In erfolgreichen Betrieben hat das Zimmererhandwerk das ganze Jahr lang Saison, da im Werk und auf der Baustelle gearbeitet wird.


Zimmerer bei der Arbeit

Was muss der Zimmerer mitbringen?

Für die dreijährige duale Ausbildung zum Zimmerer ist kein bestimmter Schulabschluss vorausgesetzt. Neben der Lehre im Fachbetrieb ergänzt der Besuch der Berufsschule die Ausbildung. In der Praxis stellen Handwerksbetriebe und Unternehmen aus der Industrie überwiegend Bewerber mit Hauptschulabschluss und mittlerer Reife ein. In den Berufsschulen sitzen zuweilen aber auch Sonderschulabsolventen neben Akademikern, die nach ihrem Studium einen praktischen Beruf erlernen möchten. Das Gros der Ausbildungszeit verbringen Zimmerer aber sicherlich auf Baustellen und in Werkstätten.

Neben Körperkraft und Körperbeherrschung ist Köpfchen gefragt. In der Praxis zählt vor allem gutes Teamwork, denn ein Dach errichtet niemand im Alleingang. Für die Arbeit in einer Zimmerei sind mathematisches Verständnis, etwas Talent beim Zeichnen, ein räumliches Vorstellungsvermögen, handwerkliches Geschick und eine Affinität zum Werkstoff Holz sicher nötig. Schlecht für Mathemuffel ist indes, dass die Berechnung von Materialmengen, Kosten und Werkstückmaßen zum Alltag des Zimmerers gehört. Ein gewisses Maß an Kreativität und eine hohe Serviceorientierung werden vom Zimmerer ebenfalls verlangt. Denn der Zimmerer muss Häuser aus Holz und andere Holzarbeiten gemäß den nicht immer einfachen Architekten- und Bauherrenwünschen errichten. Dabei sollte er alle Aspekte der Gebäudefunktionalität, Energieeffizienz und besonders der Kundenkommunikation mit im Blick behalten.

Welche Zukunftsperspektiven hat ein Zimmerer?

Nach der Ausbildung bieten sich verschiedene Weiterbildungen an. Der Königsweg ist die Meisterprüfung, die weiterhin erforderlich ist, um einen eigenen Betrieb zu gründen bzw. zu führen. Sie ebnet vielerorts zudem den Zugang zu akademischen Ausbildungen an Fachhochschulen und Universitäten – wohlgemerkt ohne Abitur. Weiterbildungen, zum Beispiel zum Restaurator im Zimmerhandwerk, können ebenfalls im Anschluss an die Meisterprüfung absolviert werden. Darüber hinaus bieten sich zahlreiche Spezialisierungen an – vom Arbeitsvorbereiter über den Bauzimmerer bis hin zum Bühnenzimmerer im Theater. Möglichkeiten bietet das Berufsfeld reichlich, und verzweifelt gesucht werden gute Zimmerer obendrein.